In der Kategorie ixSongs nehme ich Songtexte und schreibe daraus Geschichten. Ich behalte mir vor, mich nicht unbedingt immer 1:1 an die Songvorlage zu halten und werde die Geschichten etwas ausschmücken. Heute: Beatles - Yellow Submarine
Die Stadt, in der die Kinder mit Steinen Fußball spielten. Deren Väter sich in den Stahlwerken und Kohlegruben die Buckel krumm schufteten. Deren Mütter jeden
Pfennig umdrehten, um auch die manchmal mehr als 6 Geschwister durchzufüttern.
Die Stadt, in der es immer grau war. Selbst im Sommer wurde der Himmel nie richtig blau. Immer getrübt durch den Rauch der qualmenden Schlote der Fabriken und den Kaminen der Häuser.
Die Stadt, in der nie etwas sauber war. Alles war immer mindestens von einer Spur Ruß bedeckt. Wenn man Sonntag Mittags das gute Geschirr aus dem Schrank nahm, musste man es zuerst abwischen, manchmal auch heiß abspülen. Stand es dann länger als 10 Minuten auf dem Tisch, waren schon wieder die ersten Rußspuren zu erkennen.
Die Stadt in der auch das Leben grau war. Seit Generationen gab es keinen Farbkleks. Die Söhne wurden Stahl- oder Kohlearbeiter, die Töchter heirateten Stahl- oder Kohlearbeiter. Man lebte in kleinen Häusern. Eins wie das andere. In Siedlungen, die für Stahl- und Kohlearbeiterfamilien gebaut wurden.
Die Stadt in der ich geboren wurde.
Die Stadt in der ich aufwuchs.
Die Stadt in der ich lebte.
Bochum.
Die Stadtviertel waren ähnlich wie Clans. Innerhalb der Stadtviertel bildeten sich in den Straßenzügen Unterclans. Manche Familien waren so groß und bekannt, dass diese wiederum eigene Clans bildeten. Am bekanntesten waren aber immer die Abgedrehten in den Vierteln. Jede Straße hatte so einen Menschen, der aus irgendwelchen Gründen Zeit seines Lebens auf dem Abstellgleis stand. Oder besser gesagt, Zeit meines Lebens. In unsere Straße war es „Der irre Borke“.
Eigentlich hieß er Borkenhagen. Heinrich Borkenhagen. Borke war schon uralt als ich ein Kind war, und war immer noch genauso uralt, als ich die Schule beendete. Tatsächlich war er erst Ende 30, als ich zur Welt kam. Nicht nur wegen seines Namens, auch wegen seines Aussehens nannten in alle nur „Borke“. Seine Haut sah aus wie die Rinde eines alten Baumes. Voller Furchen und Narben und irgendwie war sie auch genauso graubraun und dreckig wie ein Baum, der seit 100 Jahren an ein und demselben Fleck stand.
Borke saß seit bestimmt 100 Jahren an ein und demselben Fleck. Sommer wie Winter hockte er auf einem alten Holzstuhl an einem alten klapprigen Tisch vor seinem Haus, bzw. dem Haus seiner Eltern. Immer bekleidet mit einem grauen Arbeitsanzug und den dazugehörigen klobigen Schuhen. So als wollte er gleich in die Grube einfahren. Seine einzigen Lebensmittel schienen Bier und Zigaretten zu sein. Wir Kinder nannten ihn „Der irre Borke“, weil er eben irre war. Vor unseren Eltern durften wir ihn natürlich nicht so nennen.
Borke hatte tatsächlich ein schweres Schicksal durchlitten und zu tragen. Kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges, wurde er als 15 jähriger zur Wehrmacht eingezogen. Weil er aus „dem Stahl“ kam, hat man ihn bei der Marine zum Maschinisten gemacht. Schon nach 3 Wochen „Ausbildung“ kam er auf ein U-Boot und musste dort in den Maschinenraum. Weitere 3 Wochen kreuzte er mit dem Boot durch das Mittelmeer und dann war sein Leben für immer zerstört. Sein Boot wurde versenkt. Er konnte sich im Maschinenraum retten und das letzte Schott schließen. Das U-Boot brach auseinander und der Teil mit dem Maschinenraum verkeilte sich in den sardinischen Klippen. Das Schott lag unter Wasser und ließ sich nicht öffnen. Borke hatte aber genug Luft zum Atmen und einen 50 Liter Wassertank. Ein entkommen aus seinem Stahlsarg war ihm aber nicht möglich. Er muss 2-3 Wochen so in diesem Gefängnis bei völliger Dunkelheit ausgehalten haben. Dann fanden ihn alliierte Truppen. Der Krieg, sein Leben und sein Geist waren am Ende. Niemand weiß wirklich was Borke in dieser Zeit dort erlebt hat. Aber es hat ihm den Verstand geraubt. Er wurde wahnsinnig.
Wenn er so auf seinem Stuhl vor seinem Haus hockte, summte er immer wieder eine Melodie vor sich hin. Er wirkte dabei entrückt aber glücklich. Wir Kinder machten uns dann über ihn lustig. Er ließ sich aber gar nicht ärgern. Er lächelte uns dann an, zeigte seine von den Zigaretten vergilbten Zähne, und noch mehr Lücken zwischen diesen Zähnen. Dann begann er zu erzählen: „Wir hatten das schönste U-Boot von allen. Es war gelb. So gelb wie die Sonne. Wir schwammen und tauchten damit zum Horizont der Sonne entgegen. Bis wir endlich die grüne See fanden. Dort lebten wir alle miteinander. Es war so friedlich, so schön. Wir hatten alles was wir brauchten. Und die Kapelle spielte uns die Musik. Uns, und unserem gelben U-Boot.“
Dann folgte meist ein irre bis wirre Folge von Seemannskommandos: „Borkenhagen, Volle Kraft voraus! - Aye Aye Käptn. Volle Kraft voraus. - FEUER!“. Darüber musste er immer laut lachen. Nach ein paar Minuten fing er wieder zu summen an. Sein Gesicht war wieder glücklich entrückt. Er war dann wieder zurück auf seinem gelben U-Boot in der grünen See hinter dem Horizont..
Irgendwie hatte das, was ihm passiert war, ihn am Ende doch glücklich gemacht. Nur für alle anderen war er nur noch „Der irre Borke“.
(ix)
Schön geworden. Nette Serie Deine Adaptionen. Und Bochum passt gut ins Bild.
Tja, irgendwie leben wir alle in einem gelben U-Boot.
Und das nächste Mal schreibste was über Korporal Pfeffers Blasmusikkapelle der Einsamen Herzen e.V., oder?
@Olaf: Ich dachte immer der wäre Unteroffizier.
Ob der Song mir zusagt oder was dazu einfällt, weiß ich jetzt noch nicht.
Vielen Dank für den Vorschlag.